Der Flughafen

Berlin-Tempelhof soll lebendiges UNESCO Weltkulturerbe

werden

Zeitzeugenberichte

1980er Jahre

Spontantrip nach Sylt

Meine Geschichte ereignete sich Anfang der 1980er Jahre. Zu dieser Zeit wurde der "große" Flugverkehr schon lange in Tegel abgewickelt, in Tempelhof gab es allerdings wieder in kleinem Umfang Flugbetrieb mit kleinen Maschinen.

Ich war zu dieser Zeit Schüler in Lichtenrade. Meine Familie hatte damals beschlossen, die Großmutter, die es nach dem Krieg auf die Insel Sylt verschlagen hatte, über Weihnachten einzuladen. Die Dame war nicht mehr die jüngste und sah sich außerstande, die rund 8-stündige Zugfahrt nach Berlin auf sich zu nehmen. So blieb eigentlich nur ein Flug nach Berlin...

Während man aber im Sommer fast täglich mit der "BA" von Berlin-Tegel nach Westerland fliegen konnte war dies im Winter weitaus schwieriger. Nur eine kleine aliierte Fluggesellschaft bot ihre Dienste auf der Strecke an.

Abgesprochen war, daß mein Vater am Mittwoch nach Sylt fliegen, und die Großmutter dort besuchen sollte. Am Donnerstag sollte es mit ihr zusammen zurück nach Berlin gehen. Da der Hinflug erst am Nachmittag starten sollte, begleitete ich meinen Vater nach der Schule nach Tempelhof.

Nach meiner Erinnerung fand damals die Abfertigung nicht in der Haupthalle, sondern rechts daneben an einem Seiteneingang statt. An der Sicherheitskontrolle angekommen, wurde ich gefragt, ob ich denn auch mitfliegen würde. Auf meine freundliche Antwort, "ich darf ja nicht" meinte man, "kein Problem", ich kann zumindestens noch bis zum Vorfeld mit. So wurde auch ich vorschriftsgemäß abgefertigt.

Das Flugzeug stellte sich draußen als kleine, ich denke 8-sitzige Maschine heraus. Der amerikanische Pilot begrüßte uns persönlich und überzeugte mich so überwältigend freundlich einzusteigen, daß ich einfach nicht nein sagen konnte. Ganz unbürokratisch durfte sich auch ein Passagier auf dem Platz des Copiloten setzen und so ging es auch sehr schnell zum Start und in die Luft. Nach einiger Zeit bot mir der Passagier vorne an, den Platz mit ihm zu tauschen. Dieses Angebot nahm ich gerne an.

Natürlich war es ausgesprochen spannend, einmal ganz vorne im Flugzeug zu sitzen, und sich die Instrumente, so gut es ging auf Englisch, erklären zu lassen. Von dem Flug selber habe ich relativ wenig mitbekommen, da unter uns eine dichte Wolkendecke lag. Erst kurz vor der Landung sah man die charakteristische Form der Insel Sylt auf dem Wetterradar. Wir tauchten durch die Wolken und waren dann auch ziemlich schnell unten. Zum Service gehörte es damals auch, dem Piloten Bescheid zu sagen, wenn man ein Taxi benötigte. Er regelte es dann ganz unbürokratisch per Funk.

An diesem Tag fuhren wir nur noch zu meiner Großmutter, der Rückflug war erst ja für den nächsten Morgen geplant.

Als wir am nächsten Morgen dann ankamen gab es allerdings eine Überraschung: Das Flugzeug war noch nicht da. Als nach einiger Zeit noch immer nichts passierte fragten wir einen der Anwesenden, was wir denn tun könnten. Er empfahl uns, einfach einmal im Kontrollturm nachzufragen. Wir sind dann tatsächlich zum Tower hochgeklettert und haben uns erkundigt. Dort hieß es, die Maschine sei noch einmal kurz nach München geflogen, kann aber wegen des schlechten Wetters nicht nach Sylt kommen. Wir sollen einfach später noch einmal nachfragen.

Das Spiel zog sich noch einige Male hin, bis schließlich klar war, daß es heute nichts mehr mit Fliegen werden würde. So fuhren wir zurück in die Wohnung und blieben eine weitere Nacht auf Sylt. Am nächsten Morgen ging es erneut zurück zum Flughafen. Auch diesmal war noch kein Flugzeug da, aber dank der freundlichen Menschen im Tower erfuhren wir, daß das Flugzeug immerhin unterwegs sei und im Laufe des Vormittags eintreffen würde. Als es schließlich soweit war, hätte ich gerne wieder vorne gesessen, aber der neue Pilot erlaubte dies nicht mehr. So mußte ich "leider" hinten bleiben. Das Wetter war diesmal etwas besser. Zumindestens zu Beginnn des Fluges konnte man noch etwas am Boden sehen. Das schlechte Wetter begann erst hinter Hamburg, blieb uns aber dafür bis Berlin erhalten. Gegen Freitag mittag landeten wir wieder in Tempelhof, und als "ordentlicher Schüler" konnte ich es mir nicht verkneifen, zumindestens noch für die letzten Stunden zur Schule zu fahren. So viel wie ich in an den drei Tagen erlebt hatte, mußte ich unbedingt erzählen.

Ich erinnere mich noch, daß ich in den laufenden Unterricht hineinkam und mich irgendwie entschuldigte, daß ich gerade aus Sylt komme, und es "leider nicht früher ging". So richtig böse schien allerdings auch niemand zu sein.

Einige Wochen später brachte mein Vater dann meine Großmutter auf demselben Weg wieder zurück - dieses Mal allerdings ganz unspektakulär. Ich konnte ihn leider nicht zum Flughafen bringen und so brachte ich mich vielleicht um ein zweites Abenteuer.

Wenn ich heutzutage in Tegel wieder einmal zwangsweise die 30 Meter vom Flugzeug zur Abfertigungshalle mit dem Bus gefahren werde, muß ich immer wieder an meinen kleinen Ausflug nach Sylt denken.

Was waren das für Zeiten, als in der Fliegerei Flieger und keine Bürokraten das Sagen hatten.